Man hat Heidi Klum und ihre Erfolgsserie „Germany‘s next Topmodel“ oft deswegen angeschossen: Es würde ein einseitiges Frauenbild vermittelt – ein Schönheitsideal, das unnatürliche Schlankheit verherrliche und alles, was figürlich davon abweiche, verdamme. Junge Mädchen eiferten diesem Schönheitsideal nach – und viele von ihnen würden so schlichtweg in die Magersucht getrieben. Ernst zu nehmende Vorwürfe, die den erfolgreichen Lauf von GNTM durchaus hätten gefährden können. Zumal der mittlerweile sehr laute, gesellschaftliche Ruf nach mehr Diversity ebenfalls in diese Kerbe schlägt.
Doch Heidi Klum wäre nicht Heidi Klum, wenn sie hier nicht Rat wüsste: Und so präsentiert sie in der 17. Staffel von GNTM nicht nur vollschlanke, oder neudeutsch – curvy –, Models, sondern zudem auch Teilnehmerinnen, die altersmäßig die Großmütter der in der Mehrzahl sehr jungen Laufsteg-Beautys sein könnten. Also wieder alles in Butter, Toleranz und Weltoffenheit gerettet? Kurz: GNTM ist seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht geworden?
Vielleicht. Selbstverständlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass Erfolgsformate wie Germany‘ s next Topmodel (und die Werbebranche) erheblichen Einfluss auf das haben, was allgemein als „schön“ gilt. Denn Schönheitsideale unterliegen dem Zeitgeist. So war einst ein heller Teint, die „vornehme Blässe“, erstrebenswert: Einfach deshalb, weil gebräunte Haut ein Kennzeichen dafür war, dass jemand draußen arbeiten musste – also einem niederen Stand angehörte. Heute hat sich diese Bild ins Gegenteil verkehrt – gebräunte Haut versinnbildlicht Jugendlichkeit, Gesundheit, Sportlichkeit, Dynamik und Schönheit. Dies führt so weit, dass Menschen Sonnenstudios aufsuchen und viel zu lange Sonnenbaden. Dass sie dabei im wahrsten Sinne des Wortes „ihre Haut zu Markte tragen“, ist den meisten wahrscheinlich bewusst – wird aber verdrängt. Die steigende Zahl von Hautkrebserkrankungen spricht da Bände …
Doch zurück zu den Catwalk-Debütantinnen von GNTM. Die offensichtliche Abkehr von den etablierten Schönheitsidealen der Werbewelt von GNTM ist selbstverständlich grundsätzlich positiv zu bewerten – denn das neu vermittelte Schönheitsideal ist weitaus realistischer und authentischer als jenes der blutjungen 90-60-90-Models. Aber Achtung: Das Skinny-Figur-Ideal wird ja nicht verworfen – sondern ihm wird nur ein weiteres zur Seite gestellt. Na, umso besser mag man meinen – dann wird tatsächlich niemand mehr diskriminiert und alle können sich freuen. Stimmt schon, aber es bleibt doch ein Beigeschmack. Denn wir wissen: Der Schlüssel zum Kopf der Verbraucher ist Aufmerksamkeit. Und auch GNTM ist in die Jahre gekommen – präsentiert immer gleich makellose Girlies. Das wird dann irgendwann langweilig – mit der Konsequenz sinkender Einschaltquoten. Also gilt es, die Aufmerksamkeit des Publikums neu zu entfachen. Und was könnte aufmerksamkeitsstärker sein, als mit Konventionen zu brechen? Konkret: Neben jungen Models mit Idealmaßen auch ein paar Omas und beleibtere Mädels über den Laufsteg spazieren zu lassen? Das ist zudem auch noch gesellschaftlich voll akzeptiert – und lockt zusätzliche Zielgruppen vor den Fernseher. Heidi Klum beschreitet mit diesem Rezept übrigens kein Neuland: Auch das Modelabel H&M und die Seifenmarke DOVE präsentierten bereits Kampagnen mit Models mit Ecken und Kanten oder, besser gesagt, mit Rundungen. Das brachte viel öffentlichen Beifall – und sicherlich ein Mehr an Umsatz. Und ALWAYS ULTRA setzt mit dem aktuellen Werbespot für Monatsbinden in puncto Authentizität noch einen obendrauf: Nicht nur, dass das Produkt von einer mehr als vollschlanken Eiskunstläuferin präsentiert wird – die Auslaufsicherheit der Binde wird zudem nicht wie gewohnt mit blauer, sondern mit blutroter Flüssigkeit belegt …
Die Zukunft wird zeigen, ob sich Best Ager und curvy Models tatsächlich bei GNTM – und in der Werbung allgemein – dauerhaft, prominent und gleichrangig etablieren können. Oder sie wieder aus dem Blickfeld verschwinden, weil alle Welt plötzlich mit älteren und weniger schlangen Models wirbt, der Trend sich damit abnutzt – und eine neue, aufmerksamkeitsfesselnde Idee hermuss. Zum Beispiel die Präsentation ausschließlich junger, bildhübscher Models mit klassischen Idealmaßen …?!