"Geständnisse eines Werbemannes"

Geständnisse eines Werbemannes

Noch wertvoll oder überflüssig?

Eine aktuelle Einschätzung zu David Ogilvys Kult-Klassiker „Geständnisse eines Werbemannes“

In seiner Jugend träumte er davon, englischer Premierminister zu werden. Doch es kam anders. David Ogilvy flog von der Elite-Universität Oxford, arbeitete anschließend u. a. als Koch, Vertreter für Gasherde, Tabakfarmer und im 2. Weltkrieg als Spion beim britischen Geheimdienst. Schließlich wurde er im Alter von 37 Jahren Werbetexter – und letztendlich zur Ikone der modernen Werbewirtschaft. Unzählige Slogans für Unternehmen von Guinness bis Rolls Royce stammen aus seiner Feder. „Bei 60 Meilen in der Stunde kommt das lauteste Geräusch in diesem Rolls Royce von der elektrischen Uhr“ ist eine seiner bekanntesten Schlagzeilen. Als David Ogilvy 1999 im Alter von 88 Jahren starb, hinterließ er ein Agentur-Imperium – und, neben anderen Werken, sein 1963 verfasstes Buch „Geständnisse eines Werbemannes“, das noch heute Kultcharakter genießt. Doch was ist mit den Erkenntnissen, Tipps und Regeln in dieser „Bibel der Werber“ im digitalen Zeitalter noch anzufangen?

Um es gleich vorwegzunehmen: manches ist überflüssig – manches auch heute noch wertvoll. Doch der Reihe nach. Ratgebern (die momentan höher im Kurs stehen als je zuvor) wohnt häufig die Tendenz inne, reichlich Binsenweisheiten zu verkünden. Das gilt auch für Ogilvys Werk. „Bei einer Anzeige ist die Überschrift das Wichtigste“, „Anzeigen müssen zeitgemäß gestaltet sein“, „Kunden sollen anspruchsvoll sein“ – derartige Erkenntnisse mögen, wenn überhaupt, vielleicht in den 60er Jahrendes letzten Jahrhunderts überraschenden, gar revolutionären Charakter gehabt haben – aber heute?! Recht Old School kommt auch David Ogilvys Einstellung zur Teamarbeit daher: Denn er hält sie schlichtweg für „Humbug“, „überbewertet“ und „eine Verschwörung der Mittelmäßigkeit“. Und wer heute seiner Empfehlung folgt, kategorisch auf Humor und Unterhaltung in der Werbung zu verzichten – der wird es schwer haben: Denn im Zeitalter kürzester Aufmerksamkeitsspannen und der Sucht nach Entertainment sind Humor und Unterhaltung, insbesondere im Online-Marketing, entscheidende Tools, um Inhalte aufmerksamkeitsstark aufzuladen.

Aber Vorsicht: Auch wenn „Geständnisse eines Werbemannes“ vielleicht unzeitgemäß, profan und recht selbstverliebt wirkt, so liefert das Buch doch durchaus wertvolle Ratschläge von universeller Gültigkeit – die nicht (mehr) immer beherzigt werden. Dazu gehört zum Beispiel die Empfehlung an die Werber, alles über das zu bewerbende Produkt in Erfahrung zu bringen. Als Agentur, die zu einem guten Teil für Kunden aus dem b2b-Bereich mit hocherklärungsbedürftigen Produkten arbeitet, ist dies für uns eine Selbstverständlichkeit (denn wie sollen wir ein Produkt erfolgreich bewerben bzw. die Nutzenstiftung den Zielgruppen begreiflich machen, wenn wir es nicht in allen Details verstanden haben?) Doch dieses Prinzip scheint nicht für alle Agenturen von Bedeutung zu sein: Denn immer wieder stellen wir bei Neukunden fest, dass z.B. Zweitnutzen nicht erkannt bzw. in der Kommunikation nicht herausgestellt wurden. Mit der Konsequenz, dass bedeutende, mitunter entscheidende Aspekte zur Differenzierung vom Wettbewerb, schlichtweg unter den Tisch gefallen sind.

Und welcher Kunde oder Art Director hätte bei der Betrachtung des kompletten Flights einer Kampagne nicht schon den Gedanken gehabt „Oh Mann, immer dasselbe ...“? Dabei wird jedoch vergessen, dass die Zielgruppe die Anzeigen, Postings oder Werbebanner nicht sauber aufgereiht hintereinander wie bei der Präsentation sieht, sondern sehr viel seltener. Daher ist es wichtig, sich (und dem Kunden) in solchen Situationen Ogilvys Ratschlag in Erinnerung zu rufen, die Kampagne fortzuführen – auch wenn man selbst ihr gegenüber abgestumpft ist.

Alles in allem ist David Ogilvys Buch „Geständnisse eines Werbemannes“ durchaus auch heute noch lesenswert. Mag der daraus zu ziehende Erkenntnisgewinn auch nicht (mehr) so gewaltig sein – das Buch ist humorvoll geschrieben und liefert mit Sicherheit genug Inspiration, Orientierung und Unterhaltung, um den Kaufpreis zu rechtfertigen. Vor allem aber umweht das Werk die nostalgische Aura einer längst vergangenen Epoche, als Werbung noch Reklame hieß und Sonderlinge wie David Ogilvy den Mythos von den „Mad Men“ der Werbebranche prägten.