Alles nur Reklame, oder?

Werbung, Reklame, Propaganda, Öffentlichkeitsarbeit, Verkaufsförderung, persönlicher Verkauf: Au weia, in der Kommunikationspolitik herrscht eine Begriffsvielfalt, bei der Uneingeweihte kaum durchblicken. Wir versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen.

Für meine Oma, die gerne Fern schaute, war jeder Werbespot und auch jede Anzeige in ihren Yellow-Press-Blättchen schlicht Reklame. Das war nicht böse oder abfällig gemeint. Was wir heute allgemein mit dem Begriff Werbung umreißen, nannte man früher eben Reklame. Heute hat der Begriff allerdings eine eher negative Konnotation und wird mit Eigenschaften wie plump, aufdringlich, polterig oder marktschreierisch assoziiert. Das war nicht immer der Fall. So bezeichnet sich der Protagonist in Erich Maria Remarques Roman „Der schwarze Obelisk“ (spielt 1923) ganz ohne Hintergedanken als „Reklamechef“ der Grabsteinfirma, in der er arbeitet. Und in dem durchaus werbekritischen Gedicht „Reklame“ von Joachim Ringelnatz aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wird der Begriff ebenfalls völlig neutral verwendet. Selbst heute reden wir umgangssprachlich oftmals vorurteilsfrei noch – wie einst meine Oma – von Reklame. Ist Reklame also nur ein aus der Mode gekommener, etwas abfälliger Nostalgiebegriff für das, was wir heute Werbung nennen? Oder gibt es einen Unterschied? Vielleicht diesen: Reklame war in erster Linie visuelle Print-Kommunikation in Form von Anzeigen oder Plakaten. Das Handwerkliche, mitunter auch das Künstlerische, stand im Vordergrund. Reklame wurde ursprünglich von Druckern oder weitgehend unbekannten Malern, Grafikern – Künstlern – geschaffen (Ausnahmen wie Toulouse-Lautrec, der weltbekannt mit seinen Plakaten wurde, bestätigen die Regel). Der Reklame lag keine Strategie zugrunde, sie fußte nicht auf werbepsychologischen Erkenntnissen, Zielgruppen- bzw. Marktanalysen oder gar ganzheitlichen Marketing-Konzepten. Formen, Inhalte und Botschaften der Reklame entsprangen zumeist den subjektiven Vorlieben und Einschätzungen des Schaffenden zum beworbenen Produkt bzw. dessen Eigenschaften.

Werbung als Instrument im modernen Kommunikations-Mix dagegen beruht auf wissenschaftlichen bzw. psychologischen Erkenntnissen. Ihr liegt eine Strategie zugrunde, sie bedient sich entsprechender Werbemittel (z.B. Anzeigen, Broschüren, Plakate, Werbespots) und Werbeträgern (z.B. Zeitungen, Internetseiten, öffentliche Verkehrsmittel), um Werbebotschaften an definierte Zielgruppen zu kommunizieren – in der Regel mit dem Ziel, den Abverkauf von Produkten oder Dienstleistungen zu steigern. Werbung ist ferner „nicht-persönlich“ – womit wir auch gleich die Abgrenzung zum „persönlichen Verkauf“ entdeckt haben, der eben nicht über Werbeträger bzw. -mittel geschieht, sondern von Angesicht zu Angesicht im Verkaufsgespräch, zum Beispiel im Einzelhandel oder bei Messen. Werbung genießt den Ruf, kreativ und überraschend zu sein – das stimmt (meistens) auch, denn um im täglichen Trommelfeuer der Werbebotschaften überhaupt noch vom Verbraucher wahrgenommen zu werden, muss man sich schon etwas einfallen lassen. Dabei schafft Werbung allerdings so gut wie nie wirklich Neues, sondern nur neue (überraschende) Assoziationen zwischen Bestehendem. Das hat seinen Grund: Denn „Neues“ – und damit Unbekanntes – braucht Zeit, arbeitet langsam, bis es erkannt, verstanden, akzeptiert, verarbeitet ist. Doch Werbung hat es eilig. Daher dockt Werbung bei Bekanntem an – nutzt Vertrautes als Vehikel, um dann den (hoffentlich originellen) Zusammenhang zum beworbenen Produkt herzustellen. Denken Sie etwa an die drei Musketiere, die einen Schokokeks im Rahmen eines Werbespots bewarben oder den Helden einer beliebten Anwalts-Vorabendserie, der in einem Slice-of-Life-Spot sofort einen Fall übernimmt, weil die Klientin über die Karte einer bestimmten Rechtsschutzversicherung verfügt.

Und was ist Propaganda? Nun, wenn es einen Igittigitt-Begriff in der Auftragskommunikation gibt, dann ist es wohl dieser. Das liegt zum einen daran, dass die Nazis mit diesem Begriff ganz offiziell ihre Kommunikationspolitik bezeichneten (Joseph Goebbels war „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“), mit der sie freilich verbrecherische Ziele verfolgten. So hat Goebbels mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sowohl das Werk „Propaganda“ von Edward Bernays, dem „Vater der Public Relations“, als auch Gustave Le Bons „Psychologie der Massen“ studiert – und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in geradezu diabolischer Weise genutzt. Zum anderen wird der Begriff Propaganda heutzutage grundsätzlich als politisch-ideologisches Beeinflussungsinstrumentarium in autoritären Regimen definiert – und daher (fast) ausschließlich kritisch verwendet.

Die ehrenwerte Schwester der Propaganda sind dagegen die Public Relations oder, zu Deutsch, die Öffentlichkeitsarbeit. PR wendet sich per Definition nicht an Märkte, sondern an Sozialfelder bzw. Multiplikatoren und Meinungsführer, um die Interessen der Auftraggeber zu verfolgen. Es ist also, wie beim Billard: Ein Spiel über Bande – denn nicht der Auftraggeber, sondern unabhängige Instanzen werden instrumentalisiert und erscheinen als Quelle der kommunizierten Botschaften. Das erhöht die Glaubwürdigkeit ungemein. Die Zielsetzung von PR ist im Gegensatz zur Werbung jedoch nicht vertrieblicher Art – also nicht primär auf den Abverkauf von Produkten oder Dienstleistungen ausgerichtet. Vielmehr geht es darum, Meinungen und Einstellungen zu Unternehmen, Marken, Organisationen etc. im öffentlichen Ansehen positiv zu beeinflussen.

Bleibt die Frage: Braucht man Werbung (und die weiteren Instrumente der Marketing-Kommunikation) überhaupt? Die Antwort wollen wir keinem geringeren als dem Autopionier und Industriellen Henry Ford überlassen, denn schon er wusste: „Wer aufhört zu werben, um Geld zu sparen, kann ebenso seine Uhr anhalten, um Zeit zu sparen.“